INTERVIEW

DJ Vadim - Der Atem des Soul oder: Von der Notwendigkeit, Relevant zu sein

Aktuelles Album: DJ Vadim - U Can’t Lurn Imaginashun (BBE Records/Alive!)

DJ Vadim - Der Atem des Soul oder: Von der Notwendigkeit, Relevant zu sein

Aktuelles Album: DJ Vadim - U Can’t Lurn Imaginashun (BBE Records/Alive!)

Trotz seines französisch anmutenden Namens ist Vadim Peare alias DJ Vadim ein Weltmensch. Geboren in St. Petersburg, Russland, aufgewachsen in London mit Wohnsitz in New York und Port-au-Prince, Haiti. Das alleine deutet glasklar in die Richtung, die sich Individualist und DJ/Remixer/Produzenten-Ikone DJ Vadim bewegt. Alles andere als langweilig - so viel steht fest.

In den letzten zwei Dekaden hat sich Vadim mit Fug und Recht als eine der meistbeschäftigten Musik-Persönlichkeiten im Fahrwasser der in den späten Achtzigern aufkeimenden “DJ-Generation“ bestätigt. Mehr noch - DJ Vadim gehört mit seinen unzähligen Aktivitäten als DJ, Remixer, Labelchef, Produzent, Arrangeur, Musiker, Ideengeber, Inspiration und Meinungsmacher zu einer der Galionsfiguren jener DJ-Bewegung.

Wichtig dabei ist die frische, immer wieder anrührende Genrevermischung, die Vadim bewusst als Handschrift nutzt. House, Electronica, Reggae, Soul, RnB, Hip Hop, Jazz, Funk, Pop - das alles sind Genres, die seinem Stil, ob nun als, nennen wir es Interpret diverser Alben und Singles, oder als Produzent oder DJ mit seinem Ruf und Aura zuarbeiten.

So überrascht es nicht, dass auch sein neuester Streich, das Album “U Can’t Lurn Imaginashun“ (das ist kein Schreibfehler, Anm. d. Red.), beim renommierten BBE-Label erschienen, mit all diesen Stilen liebäugelt. Da gibt es abgedrehte Instrumentale, zuckersüßen Soulgesang, knackige Funk-Breaks oder Moog-verliebte Sounds jenseits von ausgelatschten Chill- oder Lounge-Pfaden.

Und doch scheint da dieses mal, selbst für DJ Vadim, der übrigens im Jahr, sozusagen ganz nebenbei, runde 200 Auftritte als DJ hinlegt, mehr zu sein. Ist es Soul? Jedenfalls ist es eine gewisse Wärme. Eine grobkörnige, irgendwie analoge Liebe zu einem runden, anheimelnden Albumgefühl.

Ob wir es wirklich mit einem Begriff wie “Soul“ deckeln können, war folgerichtig eine der wichtigsten Fragen, die Dr. Chuck den “John Coltrane Of Hip Hop“, wie DJ Vadim gerne genannt wird, stellte. “U Can’t Lurn Imaginashun“ (kurz: “UCLI“) scheint diesen Weg, zumindest für uns vom SOUL TRAIN, wenn auch indirekt, einzuschlagen.

In der Presseinfo ist ein interessanter Vergleich zum Album zu lesen: “Soul II Soul meets Daft Punk“. Dass muss doch Soul sein. Oder? Bitte sehr, Vadim…

Dr. Chuck: “Ich verfolge dich und deine Musik, deine Alben, schon seit vielen Jahren. Und trotzdem Du in all diesen Stilen wie Jazz, elektronische Musik, House, Reggae, Soul und so weiter zu Hause bist, hörte ich am Ende immer ein Gefühl heraus: Soul!“

DJ Vadim: “Ja, ich liebe dich auch. (lacht) Nein, im Ernst. Das drückt alles zu meiner Musik aus. Ich kann mit Reggae arbeiten, mit Hip Hop, mit Instrumentaler Musik, mit Poesie. Es muss Soulful sein. Oder sagen wir, es muss Soul haben. Das kann sich natürlich durch so viele verschiedene Wege manifestieren. Es gibt Sad Soul, Happy Soul, Soul für die Leben, für das Denken. Gute Musik sollte deine Seele berühren. Warum kann es keinen Hip Hop geben, der Soulful ist, oder Rock? Soul ist also nicht nur einfach eine Stilrichtung oder ein Liebessong. Nicht jeder Marvin Gaye-Song ist zugleich ein politischer Song. Erykah Badu dagegen macht sehr politischen Soul. Und wie sagt Amy Winehouse so schön: ”Don’t want to go to rehab…“. Weißt Du, was ich meine?“

Dr. Chuck: “Nur zu gut!“

DJ Vadim: “Und so ist das Element in meiner Musik, das unglaublich wichtig ist, tatsächlich schlicht Soul. Es war vielleicht noch nicht vor zehn, 15 Jahren ein so großes Element wie heute. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich älter, softer geworden bin. Heute finde ich das aber sehr wichtig. Besonders, wenn ich als DJ unterwegs bin, ist es mir wichtig, etwas zu spielen, dass Soul hat.“

Dr. Chuck: “Soul als Album- und Lebensübergreifendes Element sozusagen?“

DJ Vadim: “Ich möchte dich nicht anlügen und dir sagen, dass wir es hier mit einem Konzeptalbum zu tun haben und dass jeder Song irgendwie mit den anderen verknüpft ist und nur an genau dieser Stelle funktioniert. Das ist nicht die Bibel. Mein Album funktioniert mehr als eine Art Tagebuch einer bestimmten Zeitperiode. Im Falle von “U Can’t Lurn Imaginashun“ handelt es sich um ein Tagebuch der letzten drei Monate des vergangenen Jahres.“

Dr. Chuck: “Du bist ja bereits mit allen Höhen und Tiefen, beruflich und privat, die das Leben zu bieten hat, in Berührung gekommen. Was ist dein Rat an andere Musiker, DJs, Produzenten, Remixer, die diesen Weg noch vor sich haben?“

DJ Vadim: “Ich werde oft gefragt, was man machen muss, um es als Musiker “zu schaffen“. Ich sagen dann immer, tu es einfach. Veröffentliche Sachen. Manchmal wirst du Fehler machen, aber das ist menschlich und gehört dazu. Solange du Aufmerksamkeit in die Arbeit steckst, wirst du auch aus Misserfolgen lernen.“

Dr. Chuck: “Man muss loslassen können…“

DJ Vadim: “Richtig. Mehr noch. Letztes Jahr habe ich die Miles Davis-Biografie von Ian Carr gelesen. Carr spricht eine Menge davon, wie Miles Davis in den Sechzigern viel kritisiert wurde, weil er so viele Fehler in seinem Spiel hatte. Aber genau durch diese Fehler gab er sich selbst die Individualität, die ihn von der Masse unterscheidet. Oder wenn Du dir zum Beispiel Billie Holiday anhörst. Sie war nie wirklich die größte Sängerin. Tatsächlich klang ihre Stimme eher etwas rau. Aber genau wegen dieser Rauheit war sie in der Lage, bestimmte Songs so zu intonieren, wie niemand anderes es vorher getan hatte. Genau deswegen hat die Musik von Billie Holiday so lange überlebt. Und diese Fakten sind mir sehr bewusst, obwohl ich, und das ist mir wichtig zu sagen, mich in keiner Weise mit Miles Davis oder Billie Holiday vergleichen will.“

Dr. Chuck: “Was macht also einen guten Song aus? Von einem Album wie “UCLI“?“

DJ Vadim: “Was einen guten Song ausmacht ist nicht der Zeitraum, in dem Du spielst (dein Instrument, Anm. d. Red.,), sondern der Zeitraum, in dem Du nicht spielst. Man muss Musik atmen lassen.“

Dr. Chuck: “Warum sollte, sagen wir ein 13jähriger mit iPod, Internet, Handy, all dieser Technologie, in heutigen Zeiten dein Album, sprich: die CD, kaufen? Was würdest Du ihm als Argument nennen?“

DJ Vadim: “Ich würde vermutlich noch nicht einmal versuchen, ihn zu überreden. Gangster Rap oder Punk Rock ist die Musik dieser Generation. Sie wollen kein Soul oder ähnliches hören. Sie sind nur wütend. Auf alles. Sie wollen nur protestieren. Hände in die Luft... Heute gibt es die Notwendigkeit, Relevant zu sein. Ich kann nicht wirklich sagen, was sich verkauft, oder was im Club gut läuft. Alles kommt auf die erste Sekunde ein. Eben schnell, schnell, schnell, wie das Internet, Downloads, mp3,….“

Dr. Chuck: “Vielleicht spricht deine Musik, die Musik auf “UCLI“, also eher eine “reiferes“ Klientel an?“

DJ Vadim: “Wenn wir von jemand sprechen, der 26 ist, muss ich dir sagen, es ist trotzdem verdammt hart. Wenn Du mein Album hörst, hörst Du hoffentlich, dass ich sehr viel Leidenschaft in die Musik gelegt habe. Die Attitüde war, dass ich ein sehr starkes Siebziger Jahre-Albumgefühl in das Album gebracht habe. Es ist sehr schön verpackt, hat einen sehr guten haptischen Anspruch und ist ein sehr nettes Erlebnis. Man kann aus Fairnessgründen Musik nicht auf Geld per Lied runterbrechen. Aber du bekommst natürlich für den Preis des Albums, also das Extrageld, eine ganz andere Sache als nur ein mp3. Du bekommst eine physische Sache. Die heutige Generation weiß nicht mehr, was Platten sind. Ihre Großmütter wussten das noch. Technologie - ein großes Thema… Dazu gibt es viele Sichtweisen und Argumente. Wenn jeder Moment deines Tages von Glückseligkeit ausgefüllt wäre, würdest Du sehr schnell davon gelangweilt sein und könntest Glück nicht mehr erkennen und genießen. Oder anders formuliert: Jeder braucht ein wenig Spam in seinem Leben… (lacht)“

© Dr. Chuck

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