|
|
Various -
Richard Sen presents This Ain’t Chicago (Strut Records/Alive)
Erst, als ich CD1 komplett durchgehört habe und mich gerade an CD2 machen
will fällt mir der Untertitel von “Richard Sen presents This Ain’t
Chicago” auf: “The Sound Of Underground UK House & Acid 1987-1991”.
Einmal mehr ernüchtert mich dieser Titel zunächst und zeigt mir, dass das,
was seinerzeit, also gegen Ende der Achtziger Jahre bis Anfang der Neunziger
Jahre als Acid oder Acid House deklariert war und damals leidenschaftlich
von mir gehasst wurde heute in einem ganz anderen musikalischen Licht
dasteht. Was mir am Acid House damals aufgrund seiner unnötigen “Härte“ und
seiner oft drittklassigen musikalischen Umsetzung als unhörbar erschien,
scheint mir heute nicht nur hörbar sondern regelrecht faszinierend, so gar
nicht nach hartem House sondern eher nach Individual-Soul oder zumindest
eine derer Untergattungen klingend. Kurzum: Ich liebe den Sound der rund
zwei Dutzend Songs des langen Doppelpacks auf dem britischen Strut Label
(der SOUL TRAIN berichtete).
Der Grund dürfte einmal mehr der Faktor Zeit sein: Was damals oft (auch hier
gibt es eine Menge Ausnahmen) als schlichtweg ultraplumpe Aneinanderreihung
von zu schnellen, zu billig produzierten, zu subtanzlosen und zu
keksdosenartigen BPMs zu jenem Acid House wirkte, hat heute einen Charme,
der eher dem Soul und den verschlungeneren stilistischen Wegen desselben
zuzuschreiben ist und mich fast magisch anzieht.
Vielleicht ist es die Erinnerung an jene Ära, vielleicht sind es aber auch
die Harmonien und Melodien, die mir in den Songs erst heute so richtig
bewusst werden. Allen voran “Jealousy And Lies“ von Julian Jonah,
obwohl genau dieses einer der Ausnahmesongs des Albums ist, der mir schon
damals wegen seiner hochpräzisen Produktion, wegen der Stimme und wegen der
unglaublich Deepen Atmosphäre extrem gut gefallen hat.
Der überwiegende Teil des herausragenden Albums, das Thematisch, Musikalisch
als auch Kompilationstechnisch überzeugen kann, wirkt eher wie ein einziger
Song. Egal, ob wir Arbeiten zwischen jenem Acid House bis zu Deep House von
heute fast vergessenen Projekten wie Bizarre Inc., Man With No
Name, Bang The Party, A Guy Called Gerald, Colm III,
Sly And Lovechild, Baby Ford, Jail Break, Annette
oder gar dem “Happy House Mix“ von Paul Rutherfords “Get
Real“, um nur einige wenige zu nennen, zu hören bekommen – die Songs
greifen nahtlos ineinander über und wälzen so das Acid House-Thema um zu
einem extrem charmanten und durchweg hörenswerten retrospektiven Deep
House-Kuchen, der gerade von den oft nach Kirmes und Flipper klingenden
Soundeffekten lebt und mich, ich muss es einmal mehr sagen, eher an eine
Individualform von Soul denn an House erinnert.
Insgesamt gesellt sich auch noch eine Art Post New Wave-Gefühl in den zwei
Dekaden alten Sound. US mit “Born In The North“ ist so ein
Song, der in seiner Intensität nur noch mal unterstreicht, wie gut dem Sound
die zwanzig Jahre des Einlagerns getan haben – auf bizarre aber durchaus
verdiente Weise klingt die Musik von “This Ain’t Chicago“ heute
besser denn je!
Produzent und DJ Richard Sen machte hier einen brillanten Job, auch,
wenn man heute nur schwerlich nachvollziehen kann, dass das Material damals
eine ehrliche Antwort auf eben jenen House aus Chicago sein sollte. Ich kann
mich bei aller Ehrlichkeit nicht ganz der Aussage Sens anschließen, dass
mich “viele der Tracks inspiriert haben“. Ich muss zugleich jedoch ohne wenn
und aber eingestehen, dass sie diesen Zweck heute, runde 20 Jahre später,
mehr als erfüllen.
Mit Musik ist es manchmal wie mit Wein, Whiskey, Bernstein oder Diamanten –
manchmal braucht es Zeit und vielleicht auch Druck, aus etwas einfachem ohne
Fundament etwas ganz Besonderes zu machen. Geschehen auf der Doppel-CD „“Richard
Sen presents This Ain’t Chicago” auf Strut Records, die einmal mehr
einen haptisch und informativen, herausragenden Job gemacht haben und aus
dem Album ein echtes Sammlerstück kreierten.
Das Ding erscheint wie bei Strut Records-Alben üblich selbstverständlich
auch auf Vinyl – es lohnt sich garantiert!
©
Michael Arens |
|
|
|